Neben dem Schaf, der Ziege und dem Schwein, erlangte im vorkeramischen Neolithikum eine weitere Tierart den Status der Domestizierung: das Rind.
Der Vorfahre des uns heute bekannten, domestizierten Rindes ist der Auerochse, oder auch Ur genannt, dessen Überreste häufig im Gebiet der südlichen und östlichen Levante entdeckt wurden und sich sogar bis ins obere Pleistozän zurückdatieren lassen.
Überreste des Auerochsen, die im Gebiet der südlichen und östlichen Levante entdeckt wurden, lassen darauf schließen, dass der Auerochse sogar sehr trockene klimatische Bedingungen ertragen konnte. Trotzdem ist anzunehmen, dass das Bedürfnis, mindestens alle zwei Tage Wasser zu sich zu nehmen, das Ausbreitungsgebiet dieser Spezies eingeschränkt haben dürfte, mehr noch als die Art der Vegetation in ihrem potentiellen Lebensraum.
Das Mittlere Euphrat Becken mit seinen ausgedehnten Marschlandschaften hingegen bot dem Auerochsen ideale Lebensbedingungen und war zugleich einer der Ausgangsorte für die Domestizierung des Auerochsen.
Bereits die frühen Sammler- und Jägerkulturen zeigten ein reges Interesse am Auerochsen. Während angenommen werden kann, dass der Auerochse zuerst als willkommene Nahrungsergänzung gejagt wurde, erlangte er immer mehr Bedeutung als Kultobjekt. Nach und nach erkannte man auch seinen Nutzen für die Landwirtschaft.
Wurde der Auerochse anfangs hauptsächlich domestiziert um ihn als Fleischlieferanten nutzen zu können, zeigte sich auch bald seine Bedeutung als Last- und Nutztier. Die neuen Anforderungen, die nun an den Auerochsen gestellt wurden führten zu einer Veränderung in Größe und Aussehen des nun domestizierten Rindes.
1. Der Auerochse
Aus der Familie der Bovinae, der „Echten Rinder“ sind die verschiedenen Rindarten wie das Rind, das Zebu, das Balirind, der Mithan, der Yak und der Wasserbüffel hervorgegangen.
Die „Echten Rinder“ (Bovinae) umfassen drei Gattungen: das eigentliche Rind (Bos), die Büffel (Bubalus) und die Bisons (Bison), und sind, was ihre Verbreitung betrifft auf Eurasien, Afrika und Nordamerika beschränkt.
Als Stammvater unserer Hausrinder gilt der inzwischen ausgestorbene Auerochse, auch Ur genannt (Bos primigenius). Der letzte bekannte Auerochse wurde 1627 in Polen getötet.
Der einstige Lebensraum des Auerochsen umfasste weite Teile Europas, Asiens und auch Afrikas.
Durch den großen Verbreitungsraum des Auerochsen kam es auch zu regionalen Unterschieden im Phänotyp des Auerochsen. Unterschiede fanden sich bei der Größe, der Hornform sowie der Fellbeschaffenheit.
Skelettmorphologisch werden sie aufgrund ihrer Größe und Hornform in drei Untergattungen gegliedert: der europäische Ur (Bos primigenius primigenius), der asiatische Ur (Bos primigenius namadicus) und der afrikanische Ur (Bos primigenius opisthonomus).
So war der Rücken des Auerochsen gerade und gestreckt und er stand auf verhältnismäßig hohen Beinen. Sein Fellkleid war eher kurz und glatt, während die Fellfarbe vornehmlich schwarz bis schwarzbraun war und oftmals einen über den Rücken verlaufenden gelbbraunen Aalstrich aufwies. Im Gegensatz zu den männlichen Tieren hatten die Kühe ein eher rotbraunes Fell.
Wie alle auch heute noch lebenden Wildrindarten, wies auch der Auerochse einen ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus auf. Während die Stiere wesentlich größer und schwerer waren und auch ein kräftigeres Gehörn besaßen, waren die Kühe deutlich kleiner, wie auch ihr Gehörn.
Der männliche Auerochse hatte noch im Pleistozän eine durchschnittliche Widerristhöhe von 200 cm, wobei es auch hin und wieder Individuen gab, die es sogar bis auf eine Widerristhöhe von 230 cm gebracht haben. Bereits zu beginn des Holozän war eine deutliche Verminderung der Größe zu erkennen. Die männlichen Tiere erreichten nur noch eine Widerristhöhe von bis zu 185 cm.
Durch die Domestizierung verlor das Rind weiter an Größe, während die wildlebenden Rinder es noch auf eine Widerristhöhe von bis zu 160 cm brachten, erreichten die domestizierten Tiere nur noch eine Höhe von bis zu 155 cm.
2. Der Lebensraum des Auerochsen
Der Auerochse bevorzugte fruchtbares Weideland, so wie es im Mittleren Euphrat Becken, mit seinen ausgedehnten Marschlandschaften zu finden war. Doch auch in den gemäßigten und subtropischen Zonen Eurasiens mit seinen parkartigen Landschaften und seinen lichten Laubwäldern war der Vorfahre unseres Hausrindes anzutreffen.
In Mitteleuropa tauchte der Auerochse vor etwa 250000 Jahren auf, wie die Malereien in der Höhle von Lascaux zeigen.
Auch im Gebiet der südlichen und östlichen Levante fand man häufig Knochenreste des Auerochsen, was darauf schließen lässt, dass der Vorfahre unseres Rindes sogar in ziemlich trockenen Regionen existieren konnte. Allerdings dürfte sich das Bedürfnis, mindestens alle zwei Tage Wasser zu sich zu nehmen, auch auf das Ausbreitungsgebiet dieser Spezies ausgewirkt haben. Wahrscheinlich schränkte sie dieser Umstand noch mehr ein, als die Art der Vegetation und das Klima ihres potentiellen Lebensraumes.
3. Das Neolithikum in der Levante
Der Beginn des Neolithikums (Jungsteinzeit) wird heute im Allgemeinen mit dem Übergang einiger Jäger- und Sammlerkulturen zu Hirten und Ackerbauern definiert. Die Umstellung vom Sammeln, Jagen und Fischen auf Viehhaltung und Pflanzenanbau bezeichnet man auch als Neolithische Revolution.
Vor dem Übergang zu einer produzierenden Wirtschaftsweise waren jedoch einige Entwicklungen nötig, die man auch als proto – neolithisch bezeichnet. So entstanden bereits vor der Landwirtschaft einige kleinere Siedlungen, deren Umgebung den Bewohnern aber zeitweise nur unzureichende Ressourcen wie Fleisch, Fisch oder Pflanzen bot.
Der Kultivierung und dem gezielten Anbau des Getreides ging eine jahrtausendelange Nutzung ihrer Wildarten voraus. In der Levante ist die Nutzung von wildem Getreide und anderer Pflanzen bis auf ca. 21000 v. Chr. nachweisbar.
Doch war die Entstehung der Landwirtschaft, zumindest in der Levante, keine wirklich „freiwillige“ Entscheidung. Vielmehr war es die Notwendigkeit sich einer veränderten Umwelt anzupassen um Überleben zu können. Nachdem viele Großtiere, wie z. B. die Gazelle, die man versuchte in Herden zu halten, die Region verlassen hatten, verarbeitete man vermehrt wildes Getreide und in den sehr trockenen Gebieten ging man nach dem Verschwinden der Gazelle dazu über Wildziegen und Wildschafe, sowie auch Rinder in Herden zu halten.
Ebenso wie die Landwirtschaft, entwickelte sich die Züchtung der Nutztiere aus der ursprünglichen Haltung ihrer Wildarten heraus.
4. Der Auerochse als Jagd- und Kulttier
Durch die veränderten Umweltbedingungen in der Levante gewann der Auerochse für die frühneolithischen Kulturen zunehmend an Bedeutung als Nahrung. Während der Jagd erlegte man das Tier, brachte es in die Siedlung, wo man es zerlegte, das Fleisch als Nahrung zubereitete und das Fell entweder als Kleidung oder zu anderen Zwecken weiterverarbeitete.
Doch auch die enorme Stärke und Größe des Auerochsen beeindruckten die frühen Menschen und so hielt der Auerochse auch Einzug in ihre religiösen Kulte.
Die Verehrung des Auerochsen und später auch des Stiers ist weit verbreitet. Die Höhlenmalereien von Lascaux geben einen guten Eindruck für die Bedeutung, die der Auerochse bereits auf die frühen Jäger- und Sammlerkulturen hatte.
In Göbekli Tepe (Südöstliche Türkei) und in Çatal Hüyük (Anatolien) finden sich rituelle Darstellungen des Auerochsen auf Wänden, Pfeilern und Wandreliefs, die darauf schließen lassen, dass der Vorfahre unseres Hausrindes als Opfertier Teil ihrer religiösen Handlungen war, oder möglicherweise eine Bedeutung in einem Initialisierungs-, Fruchtbarkeits- oder anderen Ritus hatte.
5. Analyse von Knochenfunden
Da die Knochenfunde aller Mitglieder der Familie des Bos (Rindes) bei archäologischen Ausgrabungen leider nur sehr bruchstückhaft zu finden sind, ist eine genaue Analyse oftmals sehr schwierig. Nur selten werden ausreichend große Knochenfunde gemacht, die es ermöglichen herauszufinden, ob es sich um ein bereits domestiziertes Tier, oder um die Wildart handelt.
Grund für die nur bruchstückhaften Funde ist das wohlschmeckende und kräftigende Knochenmark, das den meisten Rindern, deren Überreste man fand, entzogen hatte.
Quellenhinweis:
- Early Animal Husbandry In The Northern Levant – J. Peters, D. Helmer, A. Von Den Driesch, M. Saña Segui
Paléorient, vol. 25/2 1999, S. 27 – 48
- Nothing To Do With Indigenous Domestication? – Dr. Cornelia Becker
ARC – Publicaties 62, Groningen 2002, S. 112 – 137
Text: C.Laschinski. Dez. 2005
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