..., und zweitens als man denkt !
von C.Laschinski
Es war ein warmer, sonniger Herbsttag. Sarah saß auf ihrer
Lieblingsbank, direkt unter der alten Eiche, die schon seit
mehr als dreihundert Jahren, auf dem Campus der Universität
stand. Völlig vertieft in ihre Lektüre, bekam sie von dem
Treiben um sich herum nicht sehr viel mit.
Als eine Hand sie, von hinten an der Schulter berührte,
zuckte sie erschrocken zusammen.
Es war Margorie, ihre beste Freundin und Studienkameradin.
“Hierher hast Du Dich also wieder verzogen, habe ich doch
richtig gedacht,“ sagte die junge Frau, mit den langen.
blonden Haaren. Margorie setzte sich neben ihre Freundin,
die das Buch zur Seite legte. „Ich wollte das schöne Wetter
noch ausnutzen.“ Sarahs Stimme hatte einen leicht ent-
schuldigenden Tonfall. Margorie sah ihre Freundin lächelnd
an. „Hast Du dieses Wochenende schon etwas vor“, wollte sie
von der etwas kleineren und dunkelhaarigen Freundin wissen.
Sarah schüttelte den Kopf. „Nein, bisher noch nicht. Warum
fragst Du ?“ „Ich habe heute einen Brief von meinem Onkel
bekommen. Er hat die gesamte Familie auf seinen Landsitz
eingeladen. Und ich mag nicht alleine fahren.“ Margorie
zeichnete mit ihrem Fuß, kleine Muster auf den sandigen
Boden, während ihr Blick anscheinend ins leere ging. „Von
Deinem Onkel ? Meinst Du den Colonel ? Ich dachte, er hätte
den Kontakt zu Eurer Familie bereits vor Jahren abge-
brochen ?“Sarah’s Stimme klang überrascht. „Hat er auch.
Daher erstaunt es mich, dass er uns jetzt alle eingeladen
hat. Aber Du kennst mich ja, ich war schon immer sehr neu-
gierig.“ Bei diesen Worten konnte man ein verschmitztes
Lächeln auf Margorie’s Lippen sehen. Und Sarah beendete den
Satz ihrer Freundin, ebenfalls mit einem Lächeln. „Und des-
halb, wirst Du auch hin fahren.“ „Genau ! Und, kommst Du
mit ?“ „Gerne,“ lautete Sarah’s knappe Antwort.
Am nächsten Morgen, bestiegen die beiden Kunststudentinnen,
den ersten Zug in Richtung Exeter. Wo sie ein Wagen, zum
Landsitz des Colonel’s bringen sollte. Die Freundinnen ge-
nossen die Bahnfahrt. Sie unterhielten sich über ihr Studium
und den möglichen Grund, für die Einladung. Beim Aussteigen
fragte Sarah: “Bist Du ganz sicher, dass Dein Onkel nichts
dagegen hat, dass ich mitkomme?“ Während Margorie sich nach
dem Wagen des Colonels umsah, antwortete sie: „Was soll er
dagegen haben ? Er kennt Dich doch auch schon, seit Du ein
Kind bist. Im Grunde gehörst Du doch schon zur Familie.“
Sie lächelte ihrer Freundin aufmunternd zu. Sarah fühlte
sich trotzdem etwas unwohl. Schon als Kind, hatte sie vor
dem Onkel ihrer Freundin, großen Respekt gehabt. Bei ihm
konnte man immer spüren, daß er es gewohnt war, Befehle
zu geben. Seine militärische Laufbahn hatte ihn deutlich ge-
prägt.
Der Zug hatte inzwischen den Bahnhof wieder verlassen und
die beiden Frauen warteten am Haupteingang des Bahnhofs,
auf den Wagen, der noch immer nicht zu sehen war. „Bist Du
sicher, dass er einen Wagen schicken wollte ?“ fragte Sarah.
„Zumindest stand es im Brief. Aber wenn er jetzt nicht bald
kommt, nehmen wir uns eben ein Taxi.“ Margorie hatte den
Satz gerade beendet, als die Limousine, des Colonel vorfuhr.
Der schwarze Lack, hatte im Laufe der Jahre, an Glanz ver-
loren und auch die Uniform des Chauffeurs, der Ausstieg, um
den Frauen die Wagentür zu öffnen. „Lady Margorie, ich
freue mich Sie wieder zusehen.“ Sagte er höflich. Sarah be-
grüßte er lediglich mit einem Kopfnicken. Die junge Frau,
mit den kurzen dunklen Haaren fühlte sich plötzlich nicht
mehr so wohl und sie fragte sich, ob es wirklich eine so
gute Idee war, mitzufahren.
Der Weg zum Landsitz dauerte mit dem Wagen noch gut eine
Stunde und führte vorbei an einigen kleineren Dörfern. Als
sie am Moor vorbei fuhren, überkam sie ein kalter Schauer.
Schon als kleines Mädchen hatte sie immer etwas Angst vor
dem Moor gehabt. Zu viele unheimliche Geschichten rankten
sich darum und beflügelten auch heute noch ihre Fantasie.
Nach der nächsten Kurve, war das alte Herrenhaus bereits
zu sehen. Sarah, sowie auch Margorie hatten das Haus noch
gut in Erinnerung. Doch der Anblick, den es jetzt bot, er-
schreckte sie. Es wirkte herunter gekommen. Auf dem Dach
Fehlten schon einige Ziegel und an der Fassade, blätterte
die Farbe ab.
Der Chauffeur steuerte den Wagen auf die Auffahrt und hielt
direkt vor der großen Eingangstür.
Noch bevor die beiden Freundinnen ausgestiegen waren,
öffnete der alte Butler die große schwere Eichenholztür.
Das knarren der Scharniere war bis zu ihnen zu hören.
Wie schon früher, konnte man dem Mann keine Gefühls-
regung ansehen. Mit bedächtigen Schritten kam er auf sie
zu. „Lady Margorie....herzlich willkommen zu Hause.“ Und
während er das Gepäck der Frauen ergriff, begrüßte er auch
Sarah. „Miss Sarah.....ich freue mich Sie wiederzusehen.“
Sie war sich bei dem Butler nie sicher gewesen, ob er das,
was er sagte, auch wirklich meinte. Gordon hatte bereits in
der Armee unter dem Colonel gedient und war bei dessen Aus-
tritt aus der Armee, in seinen Diensten geblieben. Und er
war dem alten Herren gegenüber immer loyal gewesen.
Gordon ging voran in die große Eingangshalle, gefolgt von
Sarah und Margorie. Als sie die Halle betraten, trafen sie
auf Ethel, Margorie’s Mutter. Die Begrüßung der Beiden fiel
jedoch sehr kühl aus. Schon seit Jahren hatten sie kein be-
sonders gutes Verhältnis zueinander. „Mutter, ich freu mich
Dich zu sehen,“ sagte sie rhetorisch, während Ethel ihr
einen angedeuteten Kuß auf die Wange gab. Auch Sarah
wurde mit knappen Worten von ihr begrüßt. „Wir sehen uns ja
dann sicher beim Essen“, sagte sie, bevor sie sich abwandte
und ohne ein weiteres Wort in den Salon ging.
Gordon hatte die Begrüßung abgewartet und ging nun die
Treppe hinauf, um Margorie und Sarah in ihr Zimmer zu
bringen. „Wir wussten nicht, daß Sie auch kommen, Miss
Sarah. Daher müssen Sie und Lady Margorie sich das blaue
Zimmer teilen,“ sagte er in seiner, gewohnt monotonen Art.
Die Freundinnen folgten ihm wortlos hinauf.
Das blaue Zimmer war in altmodischem Stil eingerichtet und
während die Frauen ihr Gepäck auspackten, unterhielten sie
sich angeregt über dieses und jenes.
Gordon hatte bereits den Tisch im Speisezimmer gedeckt und
ging nun in den Salon, um den Gästen bescheid zu sagen, daß
das Abendessen gleich serviert wurde. Ethel stand mit einem
Glas Gin in der Hand vor dem großen Fenster, daß hinaus
auf den kleinen Park ging, der zum Anwesen gehörte. Sarah
und Margorie standen am Klavier und hörten zu, wie Simon
einige moderne Lieder spielte. Er war Margorie’s Cousin und
der Sohn von Helen und Milton. Die sich mit Carl Hartning,
dem Hausarzt des Colonels unterhielten. Milton war der
jüngste Bruder des alten Herren und hatte nie ein besonders
gutes Verhältnis zu ihm. Auch mit seinen Schwestern Ethel
und Rose verstand er sich nicht besonders gut. Die Tür zum
Salon öffnete sich und Gordon bat die Gesellschaft zum
Dinner. „Der Colonel bittet Sie, schon einmal ohne ihn mit
dem Essen anzufangen.“ Ohne eine weitere Erklärung ver-
ließ der Butler den Raum wieder.
In dem Moment, wo sie sich zum Speisezimmer, begeben
wollten, hörten sie einen Schrei und lautes gepolter. Er-
schrocken hielten sie einen Augenblick inne und stürzten
dann gemeinsam hinaus in die Eingangshalle. Dr. Carl
Hartning war der erste, der am Unglücksort war. Der Roll-
stuhl des alten Colonel, der schon seit vielen Jahren ge-
lähnt war, lag am Treppenende. Gleich daneben, lag der
der Colonel selbst. Dr. Hartning beugte sich über den völlig
regungslosen Mann. Mit geübten Griffen, fühlte er nach
seinem Puls. Zuerst am Handgelenk und dann noch einmal zur
Sicherheit am Hals. Als er sich zur Familie umdrehte, die
immer noch vollkommen erstart dastand, schüttelte er nur
resignierend den Kopf. „Der Colonel ist tot“, lautete seine
Diagnose. Das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Ethel brach in Tränen aus und Milton versuchte seine
Schwester zu beruhigen. „Ethel, Liebes, beruhige Dich,“
sagte er in ruhigem Tonfall. Auch die anderen schienen
sichtbar schockiert zu sein. Gordon ging hinüber, zum Doktor
Und warf einen Blick auf seinen verstorbenen Arbeitgeber.
„Sind Sie sich ganz sicher ?“fragte er mit erstickter Stimme.
Es fiel ihm schwer, seine Tränen zu unterdrücken. Hartning
nickte nur leicht mit dem Kopf. „Ja, ich bin ganz sicher.“
Keiner der Anwesenden hatte nach diesem Vorfall noch großen
Appetit. Ethel hatte sich erneut ein Glas Gin genommen und
versuchte nun, ihren Schmerz zu ertränken. Sarah hatte sich
etwas von den Anderen abgesondert. Sie war sich nicht sicher,
wie sie sich den anderen gegenüber verhalten sollte und so
beschloß sie, hinauf in ihr Zimmer zu gehen. Während die
Familie sich in den Salon zurück gezogen hatte, verständigte
Dr. Hartning die Polizei und kam anschließend ebenfalls ins
Zimmer. „ Ich habe ebend mit Officer Lance telefoniert.
Ich habe darum gebeten, dass wir Henry in der kleinen
Kapelle aufbahren können. Und er hat zugestimmt.“ „Danke
Carl,“ antwortete Milton, obwohl man ihm ansah, daß er mit
seinen Gedanken nicht bei der Sache war.
Margorie hatte bemerkt, daß Sarah nicht mehr im Raum war
und folgte der Freundin ins Zimmer. Als sie sie dort nicht
antraf, war die junge Frau etwas überrascht. Doch dann hörte
sie aus dem Bad Geräusche. „Sarah, bist Du im Bad ?“ fragte
sie, nur um sich noch einmal zu vergewissern. „Ja !“ hörte
sie Sarah’s Stimme leise. Nach einer kurzen Weile kam sie
aus dem Badezimmer heraus. Sie schien geweint zu haben,
denn ihre Augen waren leicht gerötet. Der Tod des alten
Colonel hatte sie doch mehr mitgenommen, als sie sich ein-
gestehen wollte. Margorie überzeugte sie, daß es vielleicht
gut wäre, wenn sie sich etwas hinlegen würde. Und das tat
Sarah dann auch.
Den Rest des Abends hatte die Familie zusammen im Salon
verbracht. Keiner von ihnen, wollte es wahr haben, daß der
Colonel nicht mehr am Leben war. Zwar hatte er den Kontakt
zu seiner Familie bereits vor Jahren abgebrochen und im
Grunde konnte keiner seiner Verwandten ihn besonders gut
leiden, aber als er sie für dieses Wochenende eingeladen
hatte, hofften irgendwie alle auf eine Versöhnung. Immer
wieder hatte Henry ihnen allen vorgeworfen, daß sie nur
hinter seinem Vermögen her gewesen waren und dies der
einzige Grund für ihre häufigen Besuche war. Doch solch ein
Ende hatte er nicht verdient. Darüber waren sich alle einig.
Durch den Tod des Colonels hatten sich nun jedoch auch
andere Fragen aufgetan. Und als Carl Hartning und der Butler,
den Leichnam des Verstorbenen in die kleine Kapelle brachten,
fingen sie auch schon an, über das Erbe zu diskutieren.
Margorie hatte dafür nicht sehr viel übrig und entschloß
sich, noch vor den anderen ins Bett zu gehen. Vielleicht
würde sich die Situation am nächsten Morgen etwas beruhigt
haben.
Sarah erwachte mitten in der Nacht durch ein Geräusch. Sie
sah, daß Margorie in ihrem Bett lag und in einen tiefen
Schlaf gefallen war. Als sie sich gerade wieder umdrehen
wollte, hörte sie das Geräusch wieder. Es klang wie ein
leises surren, aber sie konnte sich nicht erklären, woher
es kam und was es bedeutete. Sarah stand auf, griff nach
ihrem Morgenrock und verließ das Schlafzimmer, um heraus
zu finden, was dieses Geräusch verursachte. Sie ging den
Flur entlang und dann die Treppe hinunter. Doch so ange-
strengt sie auch lauschte, sie konnte nichts hören. Es war
vollkommen still. Sarah verweilte einen kurzen Augenblick in
der Eingangshalle und entschloß sich, auch noch einen
Blick in die anderen Räume zu werfen. Der Salon war leer
und dunkel und auch ebenso das Speisezimmer. Die junge
Frau, hatte trotz allem das Gefühl, dass sich außer ihr, noch
Jemand dort befand. Doch sie konnte niemanden entdecken.
Bevor sie wieder hinauf ins Schlafzimmer wollte, warf Sarah
noch einen Blick in die Bibliothek des Hauses. Der Kamin
brannte und Simon saß in einem großen Lehnstuhl davor.
“Simon ?“ fragte sie zögernd. Doch sie erhielt keine Antwort.
Auch als sie ihn noch einmal ansprach, bekam sie keine
Antwort. Langsam ging sie zu ihm hinüber und berührte Simon
an der Schulter. Der einzige Sohn von Milton und Helen viel
zur Seite. Er war tot !
Sarah wollte vor Entsetzen schreien, aber der Schrei blieb
ihr im Hals stecken. Aus den Augenwinkeln, sah sie einen
Schatten, der schnell das Zimmer verließ.
Die Familie hatte sich abermals im Salon versammelt. Sarah
war noch immer vollkommen aufgelöst. Und Margorie legte
beruhigend den Arm um ihre Schulter. „Du hattest sicher nur
einen schlechten Traum.“ „Nein,“ sagte Sarah beharrlich.
“Nein es war kein Traum. Bestimmt nicht. Simon war tot. Ich
habe es doch mit eigenen Augen gesehen.” Ethel, die sich wie
immer einen Gin zur Beruhigung genommen hatte, schüttelte
den Kopf und sah einen nach dem anderen an. Keiner glaubte
der jungen Frau. Obwohl die Männer das ganze Haus abgesucht
hatten, fanden sie keine Bestätigung, für Sarah’s Geschichte.
Nichts deutete darauf hin, daß etwas passiert war. Allerdings
konnten sie auch Simon nirgendwo finden.
Dr. Hartning gab Sarah ein paar Beruhigungstropfen. „Liebes,
der Abend war sicher zu viel für Sie. Am besten. Sie gehen
wieder ins Bett und schlafen sich aus.“ Margorie begleitete
ihre Freundin hinauf, während die anderen im Salon blieben.
„Die Kleine war früher schon etwas komisch,“ bemerkte Ethel,
ohne eine Antwort zu erwarten. Milton nickte zustimmend und
auch von Helen kam eine zustimmende Geste. „Ich nehme an,
Simon ist abgereist“, vermutete Carl Hartning. „Das nehme
ich auch an. Der Junge ist einfach zu sensibel, der Tod von
Henry war zu viel für ihn“, bestätigte Milton, der Vater
des Verschwundenen. Die Unterhaltung wurde vom Läuten,
der Haustürklingel unterbrochen.
Gordon, der sich inzwischen anscheinend wieder etwas gefasst
hatte, ging zur Tür und öffnete. Rose, die jüngste Schwester
des Colonels stand draußen. Und da es inzwischen angefangen
hatte zu regen, war sie vollkommen durchnässt. „Guten Abend
Gordon“, begrüßte sie den Butler fröhlich. Für Rose war es
nichts ungewöhnliches, daß sie später, als die anderen
kam. Rose kam einfach immer und überall zu spät. „Guten
Abend, Lady Rose“, sagte Gordon höflich, doch mit betretener
Miene. Er wollte es der Familie überlassen, sie über den Tod
des Colonels aufzuklären.
Noch lange hatten sie in der Nacht gesessen und über die
Ereignisse gesprochen. Das Hauptthema, der Unterhaltung,
war das, zu erwartende Erbe.
Am nächsten Morgen, war Sarah die erste, die zum Frühstück
erschien. „Ist außer mir noch niemand weiter auf ?“ fragte
sie den Butler, während er ihr das Frühstück servierte.
“Nein, Sie sind die Erste. Lady Rose ist gestern Nacht noch
angereist und es wurde noch sehr spät“, erklärte er kurz.
Nachdem Sarah das Frühstück allein beendet hatte, wollte
sie noch einmal in die Bibliothek. Sie war sich absolut
sicher, daß sie nicht geträumt hatte, als sie Simon am Vor-
abend tot im Lehnstuhl gefunden hatte. Doch als sie den
Raum jetzt betrat, wirkte er so harmlos, wie immer. Nichts
deutete auf ein Verbrechen hin. Dann erinnerte sie sich
wieder an den Schatten, den sie gerade noch aus den Augen-
winkeln wahrgenommen hatte. Ihr lief ein kalter Schauer über
den Rücken. Sie hatte sich mit dem Mörder im gleichen Zimmer
befunden. Mit einem unguten Gefühle in der Magengegend, ver-
ließ sie die Bibliothek wieder. Sarah ging durch die Halle
und wollte den Hinterausgang, der zum Rosengarten führte
nehmen, als ihr plötzlich etwas merkwürdiges auffiel. Sie
blieb vor der alten Standuhr stehen, die schon nicht mehr
funktionierte, als sie noch ein Kind war. Auf dem Fußboden,
vor der Uhr, waren leichte Kratzspuren zu erkennen. Es
wirkte so, als wäre die Uhr mehrmals wie eine Tür, zur Seite
geschoben worden. Die junge Frau blickte sich kurz um,
doch niemand war zu sehen. Zögernd versuchte sie, die
schwere Standuhr etwas vorzuziehen. Doch nichts rührte sich.
Mit einem beherzten Ruck, versuchte sie es noch einmal. Und
plötzlich schwang die Uhr beiseite und gab den Eingang zu
einem kleinen Raum frei. Sie vergewisserte sich, daß sie
nicht beobachtet wurde und ging vorsichtig hinein. Kaum das
sie den Raum betreten hatte, schloß sich die Geheimtür
wieder. Es war ein kleiner, dunkler Raum. Es gab keine Möbel,
oder Lampen. Nur ein Holztritt, stand in der Mitte des
Zimmers. Sarah schaute sich um und entdeckte einen kleinen,
hellen Punkt in der Wand. Als sie ihn näher untersuchen
wollte, bemerkte sie, daß es ein kleines Loch war. Sie
spähte hindurch und konnte den Salon erkennen. Milton und
Ethel kamen gerade herein. Sarah musste sich anstrengen,
um etwas von der Unterhaltung mitzubekommen. „Ich bin die
Älteste, also steht das Erbe wohl eher mir zu“, sagte Ethel,
zu ihrem Bruder, während sie hinüber zur Hausbar ging, um
sich einen Drink zu machen. Sarah versuchte kein Geräusch
zu machen. Doch als sie sich bewegte, gab der Hocker, ein
leichtes Knarren von sich. Für einen Augenblick hielt sie
den Atem an, doch niemand außer ihr, hatte das Geräusch
wahrgenommen. Und so schaute sie abermals durch das kleine
Spionageloch. Noch immer unterhielten sich die Geschwister.
“Mußt Du schon am frühen Morgen trinken ?“ Fragte Milton an-
gespannt. „Ich versuche nur, meine Nerven etwas zu be-
ruhigen“, antwortete sie gereizt. Das Gespräch wurde unter-
brochen, als Rose den Salon betrat. „Ich kann es noch immer
nicht fassen, daß Henry tot ist. Ich hatte so gehofft, daß
er sich mit uns versöhnen wollte. Und nun....ich hatte nicht
einmal mehr die Gelegenheit, noch einmal mit ihm zu
sprechen.“ Rose wirkte sichtlich mitgenommen. Die sonst so
fröhliche Frau, hatte starke Augenränder und gerötete Augen.
Es war offensichtlich, daß sie in dieser Nacht viel geweint
hatte. „Die Möglichkeit hatte keiner mehr von uns. Henry ist
die Treppe runtergefallen, noch bevor er überhaupt einen von
uns begrüßt hatte“, Milton klang mürrisch. „Also weiß keiner
von Euch, warum er uns wirklich eingeladen hat ?“ fragte
Rose und fuhr sich nervös mit den Fingern durch die rot ge-
färbten Haare. „Nein, keiner weiß, was Henry von uns
wollte“, antwortete Ethel, während sie sich bereits das
zweite Glas Gin eingoß.
Sarah hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie die Unter-
haltung belauschte und wollte das Geheimzimmer wieder ver-
lassen, als sie unter ihrem Fuß etwas spürte. Sie bückte
sich und hob einen Zigarrenstummel vom Boden auf. Offen-
sichtlich wurde der Raum, auch von anderen aufgesucht.
Sarah hatte keine große Lust, auf Jemanden der Familie zu
treffen. Seit sie am Vorabend Simons Leiche gefunden hatte,
die niemand außer ihr sah, schauten Margorie’s Verwandte sie
noch missbilligender an, als sie es vorher schon taten.
Inzwischen wünschte sie sich, sie wäre auf dem Campus ge-
blieben. Mit einem Buch, setzte sie sich in den Rosengarten.
Sie hoffte, dort etwas Ruhe und Entspannung zu finden, als
ihr etwas in der Hecke auffiel. Zuerst wollte sie es
ignorieren, doch dann siegte ihre Neugier. Sarah legte das
Buch zur Seite und ging hinüber zur Hecke. Vor Schreck
erstarrt, war sie nicht fähig, einen Schrei auszustoßen. Mit
offensichtlich gebrochenem Genick, lag Helen dort am Boden.
„Hier ist nichts. Überhaupt Nichts !“ rief Milton den anderen
zu. Er war der erste, der hinaus gestürmt war, als Sarah
ihnen von der toten Helen berichtet hatte. Doch auch diesmal,
war die Leiche verschwunden. Langsam begann sie an schon
selbst an ihrem Verstand zu zweifeln. Dr. Hartning wollte
ihr erneut ein Beruhigungsmittel geben, doch sie lehnte ab.
Margorie versuchte, ihre Familie etwas zu besänftigen, die
damit begonnen hatten, Sarah schwere Vorwürfe zu machen.
Wie schon am Vorabend, begleitete sie ihre Freundin ins
Schlafzimmer. „Sarah, was ist nur los mit Dir ?“ fragte sie
besorgt. „Ich weiß es ja selbst nicht“, sagte sie mehr zu
sich selbst, als zu Margorie. „Aber ich habe es gesehen !
Sie waren Tot, alle beide !“ beharrte sie. „Hast Du Helen
oder Simon inzwischen gesehen ? Bei dem Trubel, wäre Deine
Tante doch sicher auch gekommen. Also wo ist sie ? Glaubst
Du, daß sie auch abgereist ist, so wie Simon angeblich ?“
Sarah schien sich wieder gefangen zu haben. Margorie setzte
sich auf die Bettkante und überlegte. Irgendwie hatte sie
das Gefühl, daß ihre Freundin die Wahrheit sagte. Und sie
wollte jetzt selbst heraus finden, wo Helen und Simon waren.
“ Kann ich Dich alleine lassen ?“ fragte sie zögernd. „Ja,
es geht mir schon wieder besser.“ Antwortete sie, mit
ruhiger Stimme.
Nachdem Margorie das Zimmer verlassen hatte, ging Sarah
ins Bad und nahm eine Dusche.
Milton warf Ethel einen mißbilligenden Blick zu, als sie
sich erneut am Gin zu schaffen machte. Doch dieses mal ver-
zichtete er auf einen Kommentar. „Wo steckt Helen nun
eigentlich ?“ fragte Ethel und an ihrer Stimme war zu hören,
daß sie heute schon mehr als genug Gin getrunken hatte.
“Ich nehme an, sie ist ins Dorf runtergegangen“, Milton
stopfte sich seine Pfeife, die er immer nur anzündete, wenn
er angespannt war. Das Rauchen übte auf ihn eine beruhigende
Wirkung aus. „ Wir hatten heute Morgen einen kleinen Streit
und Du kennst Helen ja“, fügte er noch hinzu. Margorie be-
trat den Salon und setzte sich auf einen der Sessel, nahe
dem Fenster. Sie hatte die Erklärung ihres Onkels noch mit-
bekommen. „Aber sie kommt doch wieder ?“ wollte Margorie
wissen. „Das nehme ich doch an.“ Lautete Miltons knappe
Antwort.
Sarah war mit dem Duschen fertig und hatte sich frische
Sachen angezogen. Sie fühlte sich inzwischen wieder
wesentlich besser und sie war zu dem Entschluß gekommen,
daß sie sich nicht getäuscht hatte. Mit neuem Selbstver-
trauen, wollte sie versuchen, herauszufinden, was hier im
Haus wirklich vor sich ging.
Sarah verließ das Schlafzimmer und ging hinunter in die
Eingangshalle. Da sie aus dem Salon Stimmen hörte, ent-
schied sie sich, noch einmal in die Bibliothek zu gehen.
Sie wollte den anderen nicht begegnen.
Die Bibliothek war leer und so hatte Sarah Zeit, sich um-
zuschauen. Aber so sehr sie sich auch anstrengte, sie
konnte nichts verdächtiges finden. Nicht das kleinste An-
zeichen eines Verbrechens. Plötzlich vernahm sie ein leises
Geräusch. Es kam aus dem Arbeitszimmer, daß direkt an die
Bibliothek anschloß. Sarah fasste ihren ganzen Mut zusammen
und öffnete die Tür, zum Arbeitszimmer, so leise wie möglich.
Durch den kleinen Spalt, schaute sie hinein und versuchte,
etwas zu erkennen.
Gordon stand über den Schreibtisch gebeugt und durchsuchte
gerade eine Schublade. Scheinbar hatte er gefunden, wonach
er gesucht hatte, den er steckte einen braunen Umschlag in
die Innentasche, seiner Jacke. Bevor er sich zum Gehen
wandte, vergewisserte der Butler sich, daß er alles so zurück
ließ, wie er es vorgefunden hatte.
Sarah beeilte sich, die Tür zu schließen und schnell die
Bibliothek zu verlassen. Kurz nach ihr, verließ Gordon den
Raum und ging durch die Halle, in Richtung Küche. Sarah
folgte ihm. Ihr fiel ein, daß man vom Garten aus, einen
guten Blick durch das Küchenfenster hatte und so verließ sie
das Haus durch den Hintereingang, ging den kleinen Weg, der
um das Haus führte entlang und blieb dann vor dem Küchen-
fenster stehen. Doch von Gordon war nichts mehr zu sehen.
Er war nicht mehr in der Küche. Nur Nelly, die alte Köchin,
saß am Tisch und löffelte eine Suppe.
Langsam wurde es dunkel und Sarah wollte zurück ins Haus
gehen, als sie einen Schatten, vor der kleinen Kapelle be-
merkte. Etwas ängstlich, aber trotzdem neugierig geworden,
schlich sie sich zur Kapelle hinüber. Wieder sah es so aus,
als hätte sie sich geirrt, den niemand war zu sehen. Doch
dann öffnete sich die Kapellentür. Es gelang Sarah gerade
noch, sich hinter einem dichtbewachsenen Strauch zu ver-
stecken. Dr. Hartning verließ die Familienkapelle. Er sah
sich um, so als befürchtete er, entdeckt zu werden. Eilig
lief er hinüber zum Hintereingang. Sarah überlegte kurz, ob
sie in der Kapelle nach Spuren suchen sollte, oder dem
Doktor folgte. Sie entschied, daß es besser war, Dr.
Hartning weiter zu beobachten und folgte ihm in einiger
Entfernung. Sarah hätte nicht sagen können, woher dieses
Gefühl kam, doch irgendwie, hatte sie plötzlich den
Verdacht, Gordon und Dr. Hartning, der langjährige Freund
des Hauses, würden etwas verheimlichen.
Als sie kurz nach Carl Hartning, das Haus wieder betrat,
war auch er nicht mehr zu sehen, doch plötzlich kam er ge-
meinsam mit Milton aus dem Salon, so als hätte wäre er dort
schon die ganze Zeit über gewesen. „Das ist wieder typisch
für Helen,“ hörte sie Milton sagen. „Wenn sie erst einmal
wütend ist, dann dauert es meist eine Weile, bis sie sich
wieder beruhigt. Aber danke, Carl, daß Sie mir beischeid
gesagt haben. Margories Freundin hat mir doch einen
ziemlichen Schreck eingejagt.“ Milton steckte sich erneut
seine Pfeife an, während ihm Hartning freundschaftlich auf
die Schulter klopfte. „Nehmen Sie es der Kleinen nicht übel,
Milton. Offenbar hat sie schwache Nerven und zu viel
Fantasie.“ Beide Männer lachten und Sarah wäre am liebsten
zu ihnen hinüber gegangen, um sie eines besseren zu be-
lehren. Doch sie blieb in ihrem Versteck, unter der Treppe,
bis die beiden Männer außer Sichtweite waren. Als sie gerade
ihren Platz verlassen wollte, kamen Ethel und Rose aus dem
Salon und Sarah entschied sich abermals, in ihrem Versteck
zu bleiben. Die beiden Frauen, trennten sich wortlos vor der
Treppe. Endlich konnte Sarah wieder vorkommen. Kurzent-
schlossen, entschied sie sich, Ethel zu folgen, die das Haus
durch die Vordertür verließ. Diesmal beeilte Sarah sich, um
Ethel nicht aus den Augen zu verlieren.
Es war inzwischen bereits dunkel geworden und langsam stieg
Abendnebel auf. Sarah hatte Probleme, Ethel im Auge zu be-
halten. Margories Mutter spazierte scheinbar ziellos, durch
den Garten. Für einen kurzen Moment, verlor Sarah sie aus
den Augen. Als sie Ethel wieder sehen konnte, bemerkte sie,
daß noch eine andere Person, einen abendlichen Spazier-
gang machte. Doch sie konnte nicht erkennen, wer es war. Es
schien, als schleiche sich diese Person langsam von hinten
an Ethel heran. Sarah sah, wie die Person ausholte und mit
einem offenbar schweren Gegenstand, die ahnungslose Frau,
niederschlug. Sarah stockte der Atem. Viel Zeit, um sich zu
fangen, hatte sie nicht. Den schon im nächsten Augenblick,
trat eine zweite Person aus dem Nebel. An der Statur der
Schatten, erkannte Sarah, daß es auf jeden Fall Männer waren.
Die Beiden packten den regungslosen Körper auf einen kleinen
Karren und während der eine mit dem Karren in Richtung Moor
verschwand, ging der andere zurück in Richtung Haus, genau
auf sie zu. Sarah, befürchtete, gleich entdeckt zu werden,
doch kurz bevor er bei ihr war, schlug der Mann den Weg um
das Haus, Richtung Hintertür ein. Sarah atmete erleichtert
auf. Vorsichtig schaute sie sich um und ging dann langsam
zurück zur Tür und ins Haus. In der Halle standen Milton und
der Doktor. Sie waren in ein Gespräch vertieft und nahmen
Sarah kaum wahr. Diesmal verzichtete sie darauf, den
anderen Bescheid zu sagen. Mit raschen Schritten ging sie
die Treppe hinauf, ins Schlafzimmer, wo Margorie sich gerade
umzog. „Sarah ? Was ist passiert ? Du bist ja ganz blaß !“
bemerkte Margorie, während sie sich einen Pullover überzog.
Zuerst zögerte Sarah, doch dann berichtete sie ihrer Freundin,
was sie gerade beobachtet hatte. Im ersten Moment starrte
Margorie sie entgeistert an. „Meine Mutter ? Tot ?“ fragte
sie ganz ruhig. Sarah nickte nur stumm mit dem Kopf. Sie
befürchtete, das Margorie ihr nicht glauben würde. Doch sie
stand unvermittelt auf und sagte: „Ich hatte zwar für meine
Mutter nie sehr viel übrig, aber das hat sie nicht verdient !“
“Du glaubst mir ?“ Sarah klang erleichtert, als ihre Freundin
zustimmend nickte.
Das Abendessen nahm die Familie getrennt ein. Niemand schien
großen Hunger zu haben. Milton und Carl saßen im Salon, Rose
war in der Küche und unterhielt sich dort mit Nelly und die
beiden Freundinnen, saßen im Schlafzimmer und überlegten,
wie sie nun weiter vorgehen wollten.
Langsam begaben sich auch die anderen in ihre Schlafzimmer
und es wurde vollkommen still im Haus. Margorie und Sarah
wollten noch eine Weile warten, um sicher zu gehen, daß
niemand mehr sein Zimmer verließ. Und da war es auf einmal
wieder. Das leise surren, das Sarah bereits in der letzten
Nacht gehört hatte. Doch dieses mal, konnte auch Margorie
es hören. Die beiden Frauen sahen sich wortlos an. An-
gestrengt versuchten sie zu orten, woher das Surren kam.
Es schien, als kam das Geräusch aus der Wand. Ganz ein-
deutig. Die Freundinnen wussten, daß an ihr Schlafzimmer,
daß Zimmer angrenzte, in dem Rose untergebracht war. Leise
gingen die Zwei hinaus auf den Flur. Sie wollten versuchen,
einen Blick in das Zimmer von Rose zu werfen, als sie ein
weiteres Geräusch hörten, das eindeutig aus der Halle kam.
Mit raschen Schritten und ohne ein unnötiges Geräusch zu
verursachen, gingen sie die Treppe hinunter. Niemand war zu
sehen. Doch beide Frauen hatten das Gefühl, daß außer ihnen
noch Jemand nicht in seinem Zimmer war. Zuerst warfen sie
vorsichtig einen Blick in den Salon, doch er war dunkel und
leer. Danach überprüften sie das Speisezimmer und die Küche,
doch auch dort war alles ruhig.
Margorie warf einen flüchtigen Blick durch das Küchenfenster,
als sie einen Schatten bermerkte, der sich rasch in Richtung
Kapelle bewegte. Sie berührte Sarah leicht am Arm und zeigte
hinaus. Nun sah auch Sarah den Schatten und sie war sich
fast sicher, das es der gleiche, wie am Abend war, als Ethel
ermordet wurde. Die beiden Frauen wollten das Haus durch
den Hintereingang verlassen, als sie abermals ein Geräusch
hörten. Schnell versteckten sie sich unter der Treppe, wo
Sarah sich schon einmal versteckt hatte. Sie beobachteten,
wie der große Wandspiegel, der gegenüber der Geheimtür
angebracht war, zur Seite schwang. Jemand stieg aus, doch
es war zu dunkel, um zu erkennen, wer es war. Schnell verließ
die Person das Haus durch die Hintertür. Die Freundinnen
folgten langsam, doch bevor auch sie das Haus verließen,
sahen sie nach, was sich hinter dem Spiegel befand. Sie
staunten nicht schlecht, als sie feststellten, daß es ein
Fahrstuhl war. So war es also möglich, sich unbemerkt von
einem Stockwerk ins andere zu bewegen. Die Frauen ent-
schlossen sich, erst einmal dem Unbekannten hinaus zu folgen.
Obwohl es eine Mondlose Nacht war, bewegten sie sich dicht
an der Hecke vorbei, um nicht entdeckt zu werden. Die Person
war nicht mehr zu sehen, aber sie hörten ein Knarren, das
aus Richtung der Kapelle kam. Sie fassten ihren Mut zusammen
und gingen hinüber. Als sie vor der Tür angekommen waren,
konnte man deutlich zwei Stimmen vernehmen. „Die Leichen
wird niemand mehr wieder finden. Das Moor gibt nichts so
schnell wieder her.“ Das Lachen, daß auf diese Worte folgte,
ließ den Frauen einen Schauer über den Rücken laufen. Die
Stimme, die sie nun hörten, war ihnen nur allzu vertraut.
“Bis auf diese Sarah, hat keiner Verdacht geschöpft. Ich er-
zählte den anderen, dass Simon und Helen abgereist sind und
Ethel betrunken war und zu Bett ging.“ Dr. Carl Hartnings
Stimme war ganz deutlich zu hören. „Gut, dann können wir
jetzt den anderen zu einer verfrühten Abreise verhelfen.“
Antwortete die andere Person und wieder brachen sie in Ge-
lächter aus.
Sarah und Margorie waren durch das Gehörte abgelenkt und
bemerkten nicht, dass sich ihnen eine weitere Person von
hinten näherte. Als Gordon plötzlich mit einer Waffe vor
ihnen stand, schrie Margorie laut los.
Die Tür zur Kapelle öffnete sich und gab den Blick auf Dr.
Hartning und den Colonel frei. Die Frauen und auch der
Butler waren vor Schreck erstarrt. Der todgeglaubte Colonel
stand mitten in der Kapelle. Quicklebendig, mit einer
dicken Zigarre im Mundwinkel und von einer Lähmung war
nichts zu erkennen.
Langsam hatte Gordon seine Fassung wieder gewonnen und hob
den Revolver. Abermals überkam die Frauen eine leichte Panik.
doch der Butler richtete die Waffe nicht auf sie, sondern auf
Hartning und den Colonel. „ Ich dachte Sie wären tot, Sir“,
stammelte er leicht verwirrt. „Warum ?“ Durch den Schrei, den
Margorie ausgestoßen hatte, waren auch die anderen herbei-
gelaufen und wurden nun Zeugen der Szene. Der Colonel nahm
einen tiefen Zug von seiner Zigarre. „Ihr wolltet mich doch
nur beerben. Aber bei mir ist nichts zu holen. Ich bin Pleite.“
erklärte er. „Wenn ich der einzige lebende Verwandte wäre,
hätte ich Euch alle beerbt und meine Probleme wären gelöst.“
Der Colonel zeigte nicht die geringste Reue.
Gordon hatte inzwischen die Polizei verständigt und während
Officer Lance den Doktor und den Colonel abführte, saßen die
anderen im Salon. „Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen;
Sarah. Wir hätten Ihnen glauben sollen. Das hätte uns einiges
erspart.“ Milton war sichtlich mitgenommen. „Und das Carl
so viele Spielschulden hatte....“, leicht abwesend schüttelte
Milton den Kopf. Er ließ den Satz unvollendet.
Am nächsten Morgen verabschiedeten sich alle in der Halle.
Sie wollten das Haus so schnell wie möglich verlassen.
“Gordon, noch eine Frage, was war in dem Umschlag aus dem
Schreibtisch ?“ fragte Sarah. „Das Testament.“ Gordon lächelte.
"Ich wollte nicht, daß es in falsche Hände gerät."
Ende